Eine vollkommen neue Interpretation des Begriffes Milieuschutz kommt dieser Tage aus Kreuzberg. Durch einen Bericht der Berliner Zeitung vom 8.6.2018 wurde öffentlich, dass die Wohnungsbaugesellschaft WBM (Berlin-Mitte) gleich nach dem Erwerb des Hauses Zossener Straße 18 im Zuge der Ausübung des Vorkaufsrechts zugunsten Dritter, von den Bewohnern Mieterhöhungsverlangen von bis zu 15 Prozent geltend machte. Die Gespräche mit den Mietern fanden bereits vor dem Ankauf statt. Initiator dieser „freiwilligen Mieterhöhungen“ war der Grünen Bezirksstadtrat Florian Schmidt, nachzulesen in der Stellungnahme des Staatssekretärs für Stadtentwicklung und Wohnen, Sebastian Scheel. Die Anfrage war notwendig geworden, weil die sonderbare Vorgehensweise augenscheinlich auch bei den Linken auf wenig Verständnis stößt.
Scheel bestätigt, dass „Mieterhöhungsverlangen im gesetzlich zulässigen Rahmen“ ausgesprochen wurden. Wörtlich heißt es in der Antwort: „Für einzelne Mietverhältnisse, deren Miete sich deutlich unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete gemäß Mietspiegel bewegte, betrugen diese Mieterhöhungsverlangen 15%. Es bestehen mit einigen Mieterinnen und Mietern Staffelmietvereinbarungen, die wirksam zwischen Mieter/innen und Voreigentümer/innen vereinbart wurden und daher weiterhin Anwendung finden.“
Interessant an diesem Fall ist nicht nur die Mieterhöhung in Höhe von etwa 830 Euro monatlich. Zusätzliche Brisanz gewinnt er dadurch, dass die im Vorfeld des Kaufes stattgefundenen Gespräche zwischen Mietern, Baustadtrat Schmidt und Wohnungsbaugesellschaft offensichtlich dazu gedient haben, das Objekt durch die Mieterhöhungen für die WBM überhaupt erst wirtschaftlich tragfähig zu machen. Wie rosig die Zukunft der Mieter aussieht, lässt sich noch nicht sagen. Unter den Annahmen, dass das Objekt unter einem hohen Instandhaltungsrückstau leidet, möglicherweise Lage- und bauzeitentypische Defizite (Heizung, Bäder) aufweist und dadurch umlagefähige Modernisierungsmaßnahmen geradezu vorprogrammiert sind, werden die Mieter mit den „freiwilligen“ Mietererhöhungen sicher nicht die letzte Mietanpassung im Haus erlebt haben.
Die moralische Dimension im Fall der Zossener Straße grenzt an einen Skandal. Wie kann es sein, dass ein Baustadtrat für ein Wohnhaus, dessen Eigentümer er nicht ist, mit Mietern, die nicht seine sind, Mieterhöhungen zugunsten eines Dritten vereinbart? Wo liegt die öffentliche Messlatte, die einem privaten Investor bei Kaufabsicht pauschal unlautere Absichten unterstellt, einem Baustadtrat jedoch ermöglicht zu jeder Zeit unter ihr hindurch zu laufen?
Vielleicht hat die eine oder andere Mietpartei nach dem Einverständnis in die „freiwillige“ Mieterhöhung unruhig geschlafen. In der Berliner-Zeitung ist die Rede von Mietern, bei denen „die Freude der Ernüchterung gewichen“ sei. Ein Mieter zeigte sich davon überrascht, dass für die WBM offensichtlich andere Regeln gälten, als üblicherweise zwischen Wohnungsbaugesellschaften und Bezirken definiert. So stößt den Bewohnern auch auf, dass Staffelmietverträge, die erst in den letzten Jahren abgeschlossen wurden, weiter bestehen bleiben. Eine Mieterin wird in der Zeitung mit einem Staffelmietvertrag und Miete von 11,20 Euro/m² kalt zitiert. Die Staffel sieht eine jährliche Steigerung um drei Prozent vor.
Ist die in Kreuzberg vor sich hergetragene Moral am Ende Bigotterie?
Auch rechtlich gesehen, wirft der Fall Fragen auf. Das Wesen der Ausübung eines Vorkaufes ist es, dass der Vorkaufsberechtigte in einen bestehenden Vertrag eintritt. Änderungen der Rahmenbedingungen sind nicht möglich. In der Zossener Straße 18 wurde jedoch, auch wenn die Mieterhöhungsverlangen erst nach dem Kauf an die Mieter gingen, von den Akteuren die IST-Miete in eine hypothetische SOLL-Miete verwandelt. Mit diesem Vorgehen scheint Florian Schmidt sich zunehmend in der Gedankenwelt derer einzufinden, die er sonst - gerne mit viel öffentlicher Aufmerksamkeit – bekämpft.