SPD-Dossier befasst sich kritisch mit Berliner Mietendeckel

Ein bekannt gewordenes SPD-internes Papier belegt die offenen rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Flanken des Plans von Katrin Lompscher. Das Experten-Dossier analysiert die Grundlagen und die Entstehung des Eckpunktepapiers der SenSW, welches in dieser Woche als Referentenentwurf für die Schlusszeichnung bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung fertig gestellt sein soll.
 

1. Rechtliche Gründe

Eine Insider-Analyse der SPD bespricht detailliert, wie das Eckpunktepapier der Linkspartei zum Mietendeckel in Berlin entstanden ist. Konkret bemängelt das Dossier, welches in der 2. August-Ausgabe der Zeitschrift “Das Grundeigentum” ohne Kürzungen veröffentlicht wurde,

  • dass Katrin Lompscher (Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen in Berlin) an Gremien und Verwaltungen vorbei gehandelt hat.
  • dass eine zwingend erforderliche rechtliche Auseinandersetzung mit unterschiedlichen existierenden Gutachten ausgeblieben sei.
  • dass existierende Gutachten einer Anwaltskanzlei und des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages nicht herangezogen worden seien. Stattdessen sei einem weniger kritischen Gutachten (der Professoren Mayer / Artz) Vorzug gegeben worden.

 

In dem Papier heißt es, dass auch die in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen befassten Juristen der Ansicht seien, das Vorhaben sei rechtswidrig. Stellungnahmen der Senatsverwaltungen für Justiz, Wirtschaft und Finanzen wurden nicht eingeholt. Wörtlich heißt es: „Deren Schweigen ist politisch gefährlich“.
 

2. Inhaltliche Gründe
 

Marktentspannung in 5 Jahren?

Die Geltungsdauer von 5 Jahren für den Mietendeckel setzt voraus, dass bei einem Auslauf im Jahr 2024 die Marktverhältnisse ausgeglichener seien. Vorschläge, mit welchen Maßnahmen der Mietwohnungsmarkt konkret entlastet werden kann, sieht das Eckpunktepapier von SenSW nicht vor.
 

Deckelung für Ein- und Zweifamilienhäuser

Auch die Mieten in Ein- und Zweifamilienhäusern sollen gedeckelt werden. Diese Wohnungen waren aber bereits in der alten West-Berlin-Mietbindung ausgenommen.
 

Berechnungsgrundlage

Kritisch betrachtet wird auch die Berechnungsgrundlage. Als Grundlage dienen nicht die Zahlen des aktuellen Mietspiegels, sondern der Mietspiegel von 2011, der mit einem Inflationsausgleich fortgeschrieben wird. Dieser Punkt scheint nicht mehr zutreffend zu sein, da die von Lompscher angestrebten Mietobergrenzen aus den Vorschlägen der Mietervereine zu stammen scheinen.
 

Neubau

Die Regelung für Neubauten sei unvollständig, da diese zwar ausgenommen seien, ohne jedoch eine Regelung für die Nachvermietung anzubieten. Wenn Neubau mit der ersten Neuvermietung in die Obergrenzen-Regelung fielen, sei mit einem “schnellen Zusammenbruch” der Neubauaktivität in Berlin zu rechnen, da Bauherren keine Planungssicherheit mehr hätten.
 

Modernisierung

Zweifelhaft sei auch, ob die vorgesehenen Regelungen zu Modernisierungen rechtmäßig seien. Dieser Bereich sei vom Bund rechtlich geregelt, weshalb eine landesrechtliche Regelung nicht zulässig sei, so das Dossier. Auf die geplanten Regelungen zu Modernisierungen gehen wir in einem separaten Beitrag ein.
 

3. Fehlende Untersuchungen
 

Grundlage für Mietendeckel

Die Verfasser des Dossiers stellen fest, dass grundsätzlich “bisher nicht untersucht [worden sei, Anmerk. der Red.], ob aufgrund der Marktverhältnisse die sachlichen Voraussetzungen für einen Mietendeckel vorliegen.” Das oben angesprochene Mayer-Artz-Gutachten gehe aber davon aus, dass die Verwaltung dies geprüft habe. Die SenSW habe einen “Wohnungsbedarfsbericht” beauftragt, welcher fertig, aber nicht veröffentlicht worden sei.

Dieses Gutachten könne einschlägige Inhalte für die Bewertung beinhalten. In einem internen Papier der SenSW vom Mai 2019 sei zu lesen: ”Die gegenwärtige Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt rechtfertigt ein generelles Aussetzen von Mieterhöhungen nicht”
 

Rechtmäßigkeit des Ausschlusses von Mieterhöhungen

Der Ausschluss jeglicher Mieterhöhungen laufe auf eine verordnete Vermögensentwertung hinaus. Es sei unklar, ob dies überhaupt rechtmäßig sei. Die Ungleichbehandlung von Sozialem Wohnungsbau und dem sonstigen Wohnungsbestand sei kaum begründbar. Im Sozialen Wohnungsbau gebe es gesetzliche Bestimmungen, die inflationsbedingte Anpassungen ermöglichen.
 

Ausschaltung des Mietspiegels

Die rückwirkende Ermittlung “angemessener Mieten” unter Ausschaltung des Mietspiegels sei angesichts hoher Hürden hinsichtlich des Rückwirkungsrechtes nicht untersucht worden.
 

Verpflichtung zur Inanspruchnahme von Fördermitteln bei genehmigten Modernisierungen

Das Eckpunktepapier sieht vor, Vermieter zu verpflichten, genehmigte Modernisierungen über der 0,50 EUR/m²´-Grenze über IBB-Förderungen zu finanzieren. Im Gegenzug sollen Vermieter dann eine Belegungsbindung für 15 Jahre eingehen.
 

Gleichbehandlung aller Eigentümer und Wohnungen

Die beabsichtigte formale Gleichbehandlung aller Eigentümer und Wohnungen müsse auf einen möglichen Verstoß gegen das Übermaßgebot des Gesetzgebers geprüft werden. Dies sei bislang ausgeblieben.
 

Verschärfung statt Entspannung des Wohnungsmarktes

Ein Mietendeckel in der beabsichtigten Form, so das Dossier, führe wahrscheinlich eher zu einer verschärfenden Wirkung. Die Autoren begründen dies mit einer Reihe von Argumenten:

  • Einfrieren der Mieten erhöht Bestandsnutzung und wirkt bedarfserhöhend.
  • Frei finanzierter Wohnungsbau würde “auf jeden Fall” zurückgehen.
  • Der Rückgang könnte sehr schnell einsetzen, da auch bereits projektierte Vorhaben gestoppt würden. Dieser Prozess sei aufgrund der Enteignungsdebatte und der Mietendeckel-Diskussion bereits im Gange.
  • Entwickler und Anleger seien auf eine kalkulierbare Rendite angewiesen. Bei wirtschaftlicher Unsicherheit wenden sie sich anderen Märkten zu.
  • Es sei “irreal” anzunehmen, der Rückgang der Bauaktivitäten würde sich auf 20 Prozent beschränken lassen. Alles spräche für eine höhere Rate.
  • Es müsste geprüft werden, ober der Mietendeckel an sich rechtlich überhaupt zulässig sei, wenn “er das beabsichtigte Ziel einer Marktanspannung selbst verzögert oder gar verhindert”.
  • Ein Teil der Bauaktivitäten würde in das Umland verlagert werden, was höhere Verkehrsströme und negative Einnahme-Effekte mit sich zöge.
  • Die Projektabwanderung könnte dauerhaft sein, was zum sogenannten “Bremen-Effekt” führen würde, unter dem der dauerhafte Verlust einkommensstärkerer Bevölkerungsgruppen verstanden wird.
  • Die Auswirkungen auf das Investitionsverhalten von städtischen Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften sei nicht untersucht worden.
  • Es sei nicht “dargelegt worden”, wie die angenommene Marktentspannung bis 2015 erreicht werden soll. Wenn der Mietendeckel wie eine Art “Notstandsmaßnahme” gehandhabt wird, sei es rechtlich und kommunalpolitisch zwingend erforderlich, notwendige Maßnahmen zu beschreiben und abzusichern
  • Es sei nicht untersucht worden, wie der spätere Übergang in das Mietrecht erfolgen soll und ob sprunghafte Mieterhöhungen zu erwarten seien.
  • Es sei nicht untersucht worden, ob eine Verlängerung zulässig wäre.
  • Es gäbe keinen Plan für die Schaffung zusätzlicher Stellen bei der IBB und in den Verwaltungen.
     

4. Die politische Bewertung

Die Autoren des Dossiers gehen davon aus, dass der Mietendeckel in jedem Fall juristisch angegriffen würde. Das Interesse der Verbände an einer Mitwirkung im Zuge der geplanten Anhörung sei ebenso gering wie an einem angreifbaren Gesetz. Insgesamt sei die Gefahr eines Scheiterns groß. Einziger Profiteur sei die „Die Linke“, weil sie ihre “Bemühungen” politisch verwerten könnte. SPD und Grüne wären die Verlierer. Für die SPD als Erfinder des Mietendeckels würde ein Scheitern ein weiterer “Sargnagel” sein.
 

5. Die Schlussfolgerung

Die Autoren fordern unter anderem dass das “Projekt Mietendeckel” politisch und fachlich “anders angegangen” wird. SenSW sollen die Ressortaktivitäten entzogen und als Senats-Projekt neu aufgestellt werden. Den bisherigen Akteuren sollen “fachlich versierte und mit Autorität versehene Ko-Piloten” an die Seite gestellt werden. Es sollen Arbeitsgruppen in den Ressorts Wirtschaft, Recht und Wohnen gebildet werden, die Maßnahmenkataloge erarbeiten und die Auswirkungen in allen “Facetten qualitativ und quantitativ” beschreiben.