Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten - die rechtlich bedenkliche Praxis der Berliner Bezirke

1. SACHVERHALT

In ihrer Koalitionsvereinbarung vom 8. Dezember 2016 für die Legislaturperiode 2016-2021 haben die jeweiligen Landesverbände von SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen festgelegt, eine „zunehmende Verdrängung [von Mietern] zu verhindern und den sozialen Zusammenhalt in Berlin zu stärken.“1 Um dieses Ziel zu verwirklichen, hat der Senat am 16. August 2017 ein Konzept zur Ausübung von Vorkaufsrechten durch die Berliner Bezirke beschlossen.2 Im Kern sieht das Konzept vor, dass landeseigene Wohnungsbaugesellschaften Häuser in Milieuschutzgebieten im Wege der Vorkaufsrechtsausübung erwerben. Das Land Berlin unterstützt diese Akquisitionen finanziell mit insgesamt EUR 100.000.000,00.

Zahlreiche Berliner Bezirke haben mittlerweile weitere sog. Milieuschutzgebiete durch Verordnung auf der Grundlage von § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Baugesetzbuches (BauGB) insbesondere in populären Kiezen wie Mitte, Schöneberg, Prenzlauer Berg oder Friedrichshain-Kreuzberg erlassen und damit die Voraussetzungen für die Ausübung eines Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BauGB geschaffen. Darüber hinaus hat das Land Berlin zum 3. März 2015 die Umwandlungsverordnung auf der Grundlage von § 172 Abs. 1 Satz 4 BauGB erlassen,3 die den Milieuschutz flankiert, indem sie für Grundstücke im Geltungsbereich einer Milieuschutzverordnung einen Genehmigungsvorbehalt zur Begründung von Teil- oder Wohnungseigentum statuiert.

Einige Bezirke sind bei der Ausübung des Vorkaufsrechts besonders aktiv. Allein der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat erst kürzlich bereits zum zehnten Mal ein Vorkaufsrecht im Geltungsbereich einer Milieuschutzverordnung ausgeübt.4

Die Praxis der Bezirke ist jedes Mal ähnlich: Sobald der Bezirk vom Abschluss eines Grundstückskaufvertrages erfährt, teilt er dem Käufer mit, dass er die Ausübung seines gemeindlichen Vorkaufsrechts gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BauGB innerhalb der gesetzlichen Zwei-Monats-Frist (§ 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB) erwägt. In seiner Mitteilung bittet der Bezirk den Käufer zugleich um Stellungnahme und fordert ihn auf, eine vorformulierte Vereinbarung mit dem Land Berlin zu unterzeichnen, um das Vorkaufsrecht abzuwenden und ihm ein Negativzeugnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 3 BauGB zu erteilen. Gegenstand dieser Vereinbarung ist regelmäßig die Untersagung der Begründung von Wohn- und Teileigentum an dem Kaufobjekt, sowie Baumaßnahmen in Gestalt des Rückbaus, energetischer Sanierungsmaßnahmen und des Anbaus von Balkonen oder von Personenaufzügen. Die Abwendungsvereinbarung sieht die Verpflichtung des Käufers vor, das Grundstück im Einklang mit dem Ziel des Schutzes der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu nutzen. Gleichzeitig muss sich der Käufer zur Bestellung einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit sowie zur Zahlung einer Vertragsstrafe im Falle eines Pflichtenverstoßes verpflichten und unter die sofortige Zwangsvollstreckung in sein gesamtes Vermögen unterwerfen. Unterzeichnet der Käufer die vorformulierte Abwendungsvereinbarung nicht, so übt der Bezirk gegebenenfalls sein Vorkaufsrecht aus – in der Regel zu Gunsten eines Dritten. Bei dem Dritten handelt es sich regelmäßig um eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft. Die Kriterien, die für den Bezirk bei seiner Entscheidung zur Ausübung des Vorkaufsrechts maßgeblich sind, sind meist unbekannt.
 

2. RECHTLICHE BEWERTUNG

Die Praxis der Berliner Verwaltung bei der Ausübung des Vorkaufsrechts im Geltungsbereich einer Milieuschutzverordnung stößt im Wesentlichen aus vier Gründen auf erhebliche rechtliche Bedenken: Erstens setzt sie sich regelmäßig über den Ausschluss des Vorkaufsrechts nach § 26 Nr. 4 BauGB hinweg (2.1). Zweitens ist die Ausübung des Vorkaufsrechts häufig nicht gemäß § 24 Abs. 3 BauGB durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt (2.2). Drittens dürfte die Ermessensausübung zu Gunsten einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft regelmäßig ermessensfehlerhaft sein (2.3) Viertens sind die vorformulierten Abwendungsvereinbarungen in aller Regel rechtswidrig (2.4).
 

2.1 Ausschluss des Vorkaufsrechts

§ 26 Nr. 1 bis 4 BauGB statuiert Fälle, in denen die Ausübung des Vorkaufsrechts ausgeschlossen ist. Die hier gesetzlich kodifizierten Beispiele konkretisieren nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Fälle, in denen die Ausübung des Vorkaufsrechts von vornherein ausgeschlossen ist.5 Bei rechtmäßig bebauten und genutzten Grundstücken im Milieuschutzgebiet dürfte häufig der Ausschlusstatbestand des § 26 Nr. 4 BauGB greifen. Danach ist die Ausübung des Vorkaufsrechts ausgeschlossen, wenn das Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans oder den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme bebaut ist und genutzt wird und eine auf ihm errichtete bauliche Anlage keine Missstände oder Mängel im Sinne des § 177 Abs. 2 und 3 Satz 1 BauGB aufweist.

Der Berliner Senat vertritt in dem Konzept Vorkaufsrecht die Rechtsauffassung, § 26 Nr. 4 BauGB führe nicht zum Ausschluss in sozialen Erhaltungsgebieten.6 Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Befindet sich das Grundstück nicht nur im Milieuschutzgebiet sondern auch im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, dann genügt es für den Ausschluss des Vorkaufsrechts, dass das Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans bebaut und genutzt wird und bereits errichtete Anlagen keine Missstände oder Mängel im Sinne des § 177 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 BauGB aufweisen. Der Satz „oder den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme bebaut ist und genutzt wird“ ist aufgrund des Wortlauts („oder“) als Alternative zu begreifen und nicht als kumulative Voraussetzung im Sinne eines „und“. Er entfällt nur, wenn das Grundstück entweder nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegt oder es nicht entsprechend den Festsetzungen des aufgestellten Bebauungsplans genutzt wird, oder deren bauliche Anlage Missstände oder Mängel im Sinne des § 177 Abs. 2 und Absatz 3 Satz 1 BauGB aufweisen. Dies entspricht der herrschenden Meinung in Rechtsprechung7 und Literatur.8 Der Gesetzeswortlaut des § 26 Nr. 4 BauGB ist insoweit unmissverständlich und nicht auslegungsfähig.9

Zum Teil wird in der Rechtsprechung im Hinblick auf die Ausübung von Vorkaufsrechten in Sanierungsgebieten die Auffassung vertreten, der Ausschluss des § 26 Nr. 4 Alt. 1 BauGB könne sich unter Heranziehung seiner Entstehungsgeschichte nur auf Fälle beziehen, in denen ein Vorkaufsrecht für bebaute Grundstücke durch einen Bebauungsplan begründet wird (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB).10 Hiergegen ist jedoch mit der Kammer für Baulandsachen des Landgerichts Berlin einzuwenden, dass für die Heranziehung der Gesetzesgeschichte kein Raum ist, „wenn der Wortlaut des Gesetzes klar ist und keine Mehrdeutigkeit aufweist.“11
 

2.2 Fehlende Rechtfertigung

Unabhängig vom Bestehen eines gesetzlichen Ausschlussgrundes nach § 26 Nr. 4 BauGB, darf das Vorkaufsrecht gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 BauGB nur ausgeübt werden, wenn das Wohl der Allgemeinheit dies rechtfertigt. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn durch die Ausübung des Vorkaufsrechts im Hinblick auf eine bestimmte Aufgabe überwiegende Vorteile für die Allgemeinheit angestrebt werden.12 Speziell im Hinblick auf die Ausübung des Vorkaufsrechts bei Grundstücken im räumlichen Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung ist diese dann durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt,

„wenn durch den Kauf und den damit verfolgten Zweck die Schutzziele des § 172 [BauGB] beeinträchtigt, also insbesondere bauliche Anlagen entgegen den Zielen und Zwecken der Erhaltungssatzung abgebrochen, geändert oder hinsichtlich ihrer Nutzung geändert werden sollen.“13

Dabei ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse zu beurteilen, ob der Kauf und die mit ihm verfolgten Absichten auf eine Beeinträchtigung der Belange der Erhaltungsverordnung hinauslaufen.14
 

2.2.1 Konkrete Tatsachen

Gerechtfertigt ist die Ausübung des Vorkaufsrechts dabei nur,

„wenn Tatsachen die Annahme einer Beeinträchtigung der Belange des § 172 [BauGB] rechtfertigen. Die bloße Vermutung einer solchen Verwertungsabsicht des Erwerbers reicht nicht aus.“15

Die behördliche Begründung im Ausübungsbescheid leidet häufig daran, dass die Behörde regelmäßig keine konkreten Tatsachen anführt, die die Annahme einer solchen Beeinträchtigung rechtfertigten. Die Begründung ist hier häufig abstrakt, d. h. losgelöst von konkret-individuellen Tatsachen des Einzelfalls. Derartige Tatsachen können sich

„aus dem Kaufvertrag ergeben, etwa durch konkrete Hinweise auf Abbruch- oder Umbauvorhaben oder eine Umnutzung des Gebäudes, aber zB auch aus Äußerungen gegenüber den Mietern oder Aufträgen an Bauunternehmen. Entsprechendes gilt in den Fällen des § 172 Abs. 1 S. 4 [BauGB] hinsichtlich einer beabsichtigten Begründung von Wohnungseigentum. Als Tatsachen kommen auch sonstige Anhaltspunkte in Betracht, wie zum Beispiel Bauvoranfragen des zukünftigen Erwerbers.“16

Der bloße Wechsel im Eigentum genügt hingegen regelmäßig nicht zur Rechtfertigung durch Erwägungen des Allgemeinwohls.
 

2.2.2 Kaufpreishöhe

Als einzige konkrete Tatsache ziehen die Bezirke in der Begründung ihres Ausübungsbescheids häufig die Höhe des Kaufpreises heran. Sei der Kaufpreis erhöht, so spreche einiges dafür, dass der Käufer die Absicht habe, das Grundstück nicht dem Erhaltungsziel entsprechend zu verwenden sondern das Gebäude zu modernisieren und/oder in Wohnungseigentum umzuwandeln.17 Allerdings wird der Erwerber häufig ein Grundstück im Hinblick auf einen zu erwartenden Preisanstieg für Immobilien im innerstädtischen Bereich als sicherere mittelfristige Geldanlage (mit Mieten als zwischenzeitliche Rendite) betrachtet. In der aktuellen Wirtschaftssituation findet eine Verzinsung nicht risikobehafteter Anlagen kaum statt und die Preise für Immobilien steigen. Die zeitweise Nutzung einer Immobilie für Vermietungszwecke im Sinne der Milieuschutzverordnung und die anschließende Veräußerung zu einem aufgrund der aktuellen Marktsituation gestiegenen Preis als Geldanlage bietet sich hier durchaus an und dürfte aus diesem Grund regelmäßig kein ausreichendes Indiz für eine Nutzung des Grundstücks entgegen den Erhaltungszielen sein.18
 

2.2.3 Schutz durch Erhaltungsrecht ausreichend

Die Begründung zur Ausübung des Vorkaufsrechts reflektiert häufig die Auffassung, dass die in der jeweiligen Erhaltungs- und Umwandlungsverordnung statuierten Genehmigungsvorbehalte nicht ausreichend seien, um die Begründung von Wohn- und Teileigentum, die Durchführung baulicher Aufwertungsmaßnahmen und auch energetische Sanierungen im Sinne der Anpassung an die baulichen oder anlagetechnischen Mindestanforderungen zu verhindern. Allein durch das Vorkaufsrecht könnten derartige Maßnahmen unterbunden werden. In rechtlicher Hinsicht wird hier jedoch verkannt, dass das Vorkaufsrecht nach § 24 BauGB zwar ein eigenständiges Instrument mit einer eigenen Zielrichtung ist. Es ist jedoch eingebettet in ein austariertes gesetzliches System, das bestimmte bauliche Maßnahmen unter einen Genehmigungsvorbehalt stellt. Schon der Gewaltenteilungsgrundsatz aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 HS 2 GG verbietet, dass die Berliner Verwaltung dieses, vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber entwickelte System, einseitig ignoriert und aushebelt. Der Gesetzgeber hat in einzelnen Vorschriften (etwa § 172 Abs. 4 BauGB) bereits eine Abwägung etwa zwischen dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung und dem Interesse des Eigentümers an der Durchführung baulicher Maßnahmen oder der Begründung von Wohn- und Teileigentum getroffen. Es entspricht dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, wonach auch die Vielzahl baurechtlicher Normen als in sich widerspruchsfreies System begriffen wird, und dass ein rechtlich erwünschter und gebotener Zustand nicht einseitig durch das Instrument des Vorkaufsrechts verhindert wird. Das Vorkaufsrecht soll das System des § 172 BauGB allenfalls subsidiär ergänzen, es aber nicht ersetzen.

In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass das Vorkaufsrecht ein städtebauliches Instrument und kein Mieterschutzinstrument ist. Es dient ausschließlich dazu, einen Bezirk vor negativen städtebaulichen Folgen der Gentrifizierung zu schützen, nicht aber dazu, einzelnen Mietern den Fortbestand ihrer Mietverhältnisse zu sichern. Doch selbst dann, wenn es der Verwaltung bei der Ausübung des Vorkaufsrechts primär um den Mieterschutz ginge, so reichte das System des Erhaltungsrechts in der Regel aus, um diesen Zweck zu verwirklichen. Eigentümer, die bauliche Änderungen an ihrem Gebäude etwa in Gestalt von Modernisierungsmaßnahmen zum Zwecke einer späteren Mieterhöhung vornehmen möchten, müssen hierfür eine Genehmigung vorweisen. Im Genehmigungsverfahren, muss die Genehmigungsbehörde nach den jeweiligen Erhaltungsverordnungen prüfen, ob das Allgemeinwohl die Änderung der baulichen Anlage rechtfertigt bzw. ob eine beabsichtigte Maßnahme die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung gefährdet oder nicht. Im Rahmen dieser Prüfung kann die Behörde mittelbar auch den Mieterschutz berücksichtigen, so dass das Erhaltungsrecht eine zumindest mittelbar mieterschützende Wirkung entfaltet.19
 

2.3 Ermessensausübung

Die Ausübung des Vorkaufsrechts ist eine Ermessensentscheidung und als solche gerichtlich voll überprüfbar (§ 114 VwGO). Häufig üben die Bezirke das Vorkaufsrecht zu Gunsten einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft aus. Gemäß § 27a Abs. 1 BauGB kann das Vorkaufsrecht unter bestimmten Voraussetzungen zu Gunsten eines Dritten ausgeübt werden. Ermessensfehlerhaft erweist sich die Ausübung des Vorkaufsrechts jedoch dann, wenn der Bezirk dem Erwerber des Grundstücks Umstände entgegenhält, die auch in der Person des Dritten, also der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft nicht erfüllt sind.

So unterstellt der Bezirk etwa, dass das Kaufobjekt aufgrund einer bestimmten Kaufpreishöhe wirtschaftlich nicht rentabel sei und der Erwerber daher das Erhaltungsrecht nicht einhalten werde. Übt der Bezirk nun das Vorkaufsrecht zu Gunsten eines Dritten aus, so gelten für diesen dieselben Voraussetzungen des Kaufvertrages wie für den ursprünglichen Erwerber, insbesondere muss die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft denselben Kaufpreis bezahlen. Es erschließt sich nicht, wieso der Erwerber aufgrund eines bestimmten Kaufpreises die Erhaltungsziele gefährden, die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft jedoch, die denselben Kaufpreis zu zahlen hat, in der Lage sein soll, das Erhaltungsrecht einzuhalten.

Ein weiterer Aspekt für eine Ermessensfehlerhaftigkeit ist, dass vom Erwerber regelmäßig die Abgabe einer vorformulierten Abwendungsvereinbarung verlangt wird. Eine entsprechende schriftliche Vereinbarung verlangen Bezirke von der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft zum Teil nicht.20 Teilweise reicht den Bezirken eine mündliche Erklärung aus. Derartige Erklärungen dürften jedoch in der Regel keine taugliche Verpflichtungserklärung im Sinne von § 27 Abs. 1 BauGB darstellen, weil sie nicht ernsthaft geeignet sind, Rechtsansprüche des Bezirks gegen die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft zu begründen, die aufgrund einer solchen Vereinbarung durchsetzbar wären.21

Eine gesetzliche Ermessensgrenze stellt der aus dem Rechtsstaatgebot resultierende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dar.22 Dieser dürfte von den Bezirken im Rahmen der Ausübung des Vorkaufsrechts oft nur unzureichend beachtet worden sein. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass ein Grundrechtseingriff einem legitimen Zweck dient und als Mittel zu diesem Zweck geeignet, erforderlich und angemessen ist.23 Die Ausübung des Vorkaufsrechts versagt einem Käufer von vornherein die Chance zum Erwerb von Eigentum und ist vergleichbar mit einem Eigentumsentzug.24 Als legitimer Zweck der Ausübung des Vorkaufsrechts kommt hier allein der Schutz vor negativen städtebaulichen Folgen der Gentrifizierung in Frage und nicht der Mieterschutz. Auch dies ist ein Aspekt der von den Bezirken häufig übersehen wird. Die Ausübung des Vorkaufsrechts dürfte zwar in aller Regel geeignet sein, den legitimen Zweck zu fördern. Die Erforderlichkeit der Ausübung des Vorkaufsrechts ist jedoch in zahlreichen Fällen zweifelhaft, da als milderes, gleich geeignetes Mittel oft der Schutz durch die Erhaltungsverordnung sowie durch die Umwandlungsverordnung selbst und die darin statuierten Genehmigungsvorbehalte ausreichend sein dürften. Darüber hinaus dürfte die Ausübung des Vorkaufsrechts auch häufig nicht angemessen, also verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Mit der Ausübung des Vorkaufsrechts wird einem Käufer die Chance zum Erwerb eines bestimmten Grundstücks vollständig entzogen. Dies ist von der Eingriffsintensität vergleichbar mit einem Eigentumsentzug. Ein solcher Eingriff dürfte regelmäßig außer Verhältnis zur Erreichung des Schutzes der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung stehen, insbesondere dann, wenn sich der Erwerber bereits in einer Abwendungserklärung dazu verpflichtet hat, das Erhaltungsrecht und die damit verbundenen Ziele einzuhalten.
 

2.4 Rechtswidrige Abwendungsvereinbarung

Sinn und Zweck der Abwendungserklärung gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 BauGB bestehen darin, das Vorkaufsrecht durch den Bezirk abzuwenden und die Rechtswirkungen des vom Bezirk ausgeübten Vorkaufsrechts entfallen zu lassen.25 Ist das Vorkaufsrecht gemäß § 26 BauGB ausgeschlossen oder rechtswidrig, so besteht keinerlei Notwendigkeit, ein solches gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 BauGB abzuwenden. Demzufolge besteht auch kein Raum für die Abgabe einer Abwendungserklärung bzw. für das Eingehen einer Abwendungsvereinbarung in Form eines öffentlich-rechtlichen Vertrages.

Unabhängig davon dürfte die vorformulierte Abwendungsvereinbarung auch materiell rechtswidrig sein. Die Abwendungsvereinbarung enthält regelmäßig eine Vertragsstrafenregelung. Die entsprechende Klausel sieht vor, dass ein Erwerber, der gegen seine Verpflichtungen aus der Abwendungsvereinbarung verstößt, dem Land Berlin eine Vertragsstrafe in bestimmter Höhe zu zahlen hat. Zwar hat das VG München in einem Urteil vom 4. August 2008 entschieden, dass eine Vertragsstrafenregelung in einer Abwendungsvereinbarung grundsätzlich verhältnismäßig und in Konformität mit dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) ausgestaltet sein kann.26 Die Vertragsstrafenregelungen der in der Berliner Praxis verwendeten Muster einer Abwendungsvereinbarung sehen jedoch pauschale Beträge im Bereich zwischen EUR 50.000,00 und EUR 1.000.000,00 für Verstöße des Erwerbers gegen vertraglich übernommene Pflichten vor. Eine Bemessung der Höhe der Vertragsstrafe an der Schwere des jeweiligen Vertragsverstoßes findet nicht statt, weshalb eine derartige Regelung unverhältnismäßig sein dürfte.
 

3. ZUSAMMENFASSUNG

Die Praxis der Berliner Bezirke bei der Ausübung des Vorkaufsrechts verkennt regelmäßig, dass ein solches Vorkaufsrecht gemäß § 26 Nr. 4 BauGB häufig ausgeschlossen sein dürfte. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn sich ein Grundstück im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes befindet, dieses entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans bebaut ist und so genutzt wird und darüber hinaus keine Missstände oder Mängel im Sinne des § 177 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 BauGB aufweist.

Unabhängig davon ist die Ausübung des Vorkaufsrechts oft nicht durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt. Die Berliner Bezirke vermögen hier selten konkrete Tatsachen darzulegen, die eine Gefährdung des Allgemeinwohls vermuten ließen. Die alleinige Heranziehung der Kaufpreishöhe ist jedenfalls nicht geeignet, um den Verdacht einer erhaltungswidrigen Nutzung des Grundstücks zu erhärten. Darüber hinaus verkennen die Bezirke, dass der Schutz des Erhaltungsrechts häufig ausreichend ist und gegenüber der Ausübung von Vorkaufsrechten eine Sperrwirkung entfaltet. Allein der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, dass die Verwaltung milderen, gleich geeigneten Mitteln den Vorrang einräumt.

Ferner dürfte die Ausübung des Vorkaufsrechts zu Gunsten einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft gemäß § 27a BauGB regelmäßig ermessensfehlerhaft sein, da dem Erwerber oft Umstände entgegengehalten werden, die in der Person des Dritten ebenfalls nicht erfüllt sind. Hinzu kommt, dass dem Dritten zum Teil nicht dieselben vertraglichen Pflichten aufgebürdet werden, wie dem Erwerber.

Schließlich dürfte der Inhalt einer Abwendungsvereinbarung häufig auch rechtswidrig sein. Raum für den Abschluss einer Abwendungsvereinbarung besteht dann nicht, wenn das Vorkaufsrecht ausgeschlossen oder nicht durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt ist. Zudem ist insbesondere die in der vorformulierten Abwendungserklärung enthaltene Vertragsstrafenregelung regelmäßig unverhältnismäßig und damit nicht AGB-konform.

 

1 SPD/Die Linke/Bündnis 90/Die Grünen, Koalitionsvereinbarung für die Legislaturperiode 2016-2021, Berlin gemeinsam gestalten. Solidarisch. Nachhaltig. Weltoffen., vom 08. Dezember 2016, S. 24 (Koalitionsvereinbarung), im Internet abrufbar unter www.berlin.de/rbmskzl/regierender-buergermeister/senat/koalitionsvereinbarung/ (zuletzt abgerufen am 8. November 2017).

2 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen/Senatsverwaltung für Finanzen, Konzept für die Nutzung von Vorkaufsrechten nach dem Baugesetzbuch in Berlin, Stand: Juli 2017, (Konzept Vorkaufsrecht) im Internet abrufbar unter www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/wohnraum/soziale_erhaltungsgebiete/download/VZK-Konzept_Vorkaufsrechte.pdf (zuletzt abgerufen am 8. November 2017).

3 Verordnung über einen Genehmigungsvorbehalt für die Begründung von Wohnungseigentum oder Teileigentum in Erhaltungsgebieten nach § 172 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Baugesetzbuchs (Umwandlungsverordnung - UmwandV) vom 3. März 2015, GVBl. 2015, 43.

4 Der Tagesspiegel vom 30. Oktober 2017, Friedrichshain-Kreuzberg kauft weiteres Wohnhaus, im Internet abrufbar unter www.tagesspiegel.de/berlin/vorkaufsrecht-im-milieuschutzgebiet-friedrichshain-kreuzberg-kauft-weiteres-wohnhaus/20522410.html (zuletzt abgerufen am 8. November 2017).

5 BVerwG, Beschluss vom 29. Juni 1993, 4 B 100/93, NVwZ 1994, 284 (285).

6 Konzept Vorkaufsrecht, S. 11 f.

7 LG Berlin, Urteil vom 26. April 2017, O 2/15 Baul unter Punkt II.2. – das Urteil ist bislang noch unveröffentlicht und nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil wurde Berufung beim Kammgericht Berlin unter dem Aktenzeichen 9 U 2/17 eingelegt.

8 Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Aufl. 2016, § 26 Rn. 7.

9 So ausdrücklich LG Berlin, Urteil vom 26. April 2017, O 2/15 Baul unter Punkt II.2.

10 Bay VGH, Urteil vom 02. Oktober 2013, 1 BV 11.1944, NVwZ-RR 2014, 132.

11 LG Berlin, Urteil vom 26. April 2017, O 2/15 Baul unter Punkt II.2.

12 BVerwG, Beschluss vom 15. Februar 1990, 4 B 245/89, NJW 1990, 2703 (2704); VGH München, Urteil vom 6. Februar 2014, 2 B 13.2570, juris Rn. 16; Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB,  13. Auflage 2016, § 24 Rn. 20.

13 Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Auflage 2016, § 24 Rn. 25.

14 Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 124 EL 2017, § 24 Rn. 74.

15 Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Auflage 2016, § 24 Rn. 25. So auch Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 124 EL 2017, § 24 Rn. 74.

16 Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Auflage 2016, § 24 Rn. 25.

17 So der Vortrag des Antragsgegners im Verfahren vor dem LG Berlin, Urteil vom 26. April 2017, O 2/15 Baul.

18 LG Berlin, Urteil vom 26. April 2017, O 2/15 Baul unter Punkt II.1. und II.3.

19 Stock, in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: Oktober 2016, § 172 Rn. 45 f.

20 So auch nicht in dem Fall, den das LG Berlin zu entscheiden hatte, vgl. LG Berlin, Urteil vom 26. April 2017, O 2/15 Baul.

21 LG Berlin, Urteil vom 26. April 2017, O 2/15 Baul unter Punkt II.4.; vgl. Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Auflage 2016, § 27 Rn. 4.

22 BVerwG, Urteil vom 20. Juni 2013, 8 C 46/12, juris Rn. 42.

23 BVerwG, Urteil vom 25. Januar 2012, 6 C 9/11, juris Rn. 42.

24 So auch ausdrücklich Schaetzell/Busse/Dirnberger, Praxis der Kommunalverwaltung, Dezember 2010, F1 Bund Rn. 5.

25 Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Auflage 2016, § 27 Rn. 4.

26 VG München, Urteil vom 4. August 2008, M 8 K 06.3960, juris Rn. 42 ff.