Die günstigste eindeutig bezugsfreie Berliner Eigentumswohnung ist im April 2020 auf Immoscout eine 35 Quadratmeter Einzimmerwohnung für 95.000 Euro in Lichtenrade. Rechnet man großzügig zehn Prozent Nebenkosten dazu und sieht eine 110-Prozent-Finanzierung zu 1,5 Prozent Zins vor, errechnet sich trotz Vollfinanzierung eine monatliche Zinslast von lediglich 130 Euro pro Monat. Zum selben Zeitpunkt ist berlinweit die mit Abstand günstigste Mietwohnung für 190 Euro pro Monat in einem Hochhaus in Lichtenberg zu haben. Die meisten Offerten liegen deutlich darüber – die teuerste unmöblierte Einzimmerwohnung wird für 1.200 Euro angeboten.
Wir sehen: Man kann auch heute noch in Berlin kaufen, ohne überdurchschnittlich verdienen zu müssen. Und mieten ist häufig teurer als kaufen. Die Mehrheit der Deutschen gibt monatlich einen wesentlichen Teil des Einkommens für stetig steigende Mieten aus, statt diese unvermeidbare Ausgabe dafür zu verwenden, um stückweise Vermögen aufzubauen. Dabei ist kaufen seit vielen Jahren deutschlandweit günstiger als mieten. Eine Folge ist: Obwohl die Deutschen beim Einkommen vordere Plätze belegen, liegen sie beim Vermögen innerhalb der EU weit hinten. Die Wohneigentumsquote reicht hierbei als Erklärung. Deutschland hat die niedrigste Wohneigentumsquote der EU – in ganz Europa hat nur die Schweiz einen niedrigeren Wert.
Warum ist das so?
Aus meiner Sicht ist ein Hauptgrund die mangelnde ökonomische Bildung in Deutschland: Selbst gebildete Menschen sind häufig erstaunlich wenig in der Lage, die oben skizzierten Überlegungen nachzuvollziehen. Man verwendet mehr Zeit für die Wahl des Autos oder für die Planung des Urlaubs als für die Analyse der Haushaltsposition, die bei den meisten Menschen die größte im Budget ist. Ein weiterer wichtiger Grund sind politische Weichenstellungen. Zum einen die Mietengesetzgebung, zum anderen – speziell in Berlin, zunehmend auch im Bund – einseitige und trennende Rhetorik, die zunehmend eine Kluft zwischen Vermieter und Mieter erzeugt.
Warum sollte man als Berliner eine Wohnung kaufen, wenn die Regierungskoalition den Mietern signalisiert: Wir kümmern uns darum, dass die Mieten niedrig bleiben. Rot-Rot-Grün versucht den Druck, der am Markt durch die hohen Zuzugszahlen entstanden ist, einseitig auf diejenigen umzulenken, die dagegen frühzeitig Sorge getroffen haben: die Immobilieneigentümer. Gleichzeitig wird so getan, als wären die Eigentümer verantwortlich für das Steigen der Mietpreise und nicht etwa das Ungleichgewicht zwischen langsam wachsendem Angebot und rasant wachsender Nachfrage.
Wenn man über Verantwortung sprechen will: Die beiden Gründe für das entstandene Ungleichgewicht am Wohnungsmarkt sind:
- Eine plötzlich deutlich steigende Bevölkerung, nachdem wir viele Jahre von einer stetigen Schrumpfung ausgegangen waren.
- Langwierige Genehmigungsverfahren und teure Standards, die eine rasche Anpassung erschweren.
Für beides ist die Politik verantwortlich.
Die Rhetorik ist in Berlin mittlerweile so schrill und omnipräsent, dass es Mieter als „Rettung“ empfinden, wenn Vorkaufsrechte zugunsten insolventer Genossenschaften ausgeübt werden, für die die Mieter dann 500 Euro pro Quadratmeter Eintrittsgeld (Genossenschaftsanteil) bezahlen, die „freiwillige“ Mieterhöhungen (Staffel) weit jenseits des mietrechtlich Möglichen vorsehen und weder über eine gesicherte Finanzierung noch über eine funktionierende Hausverwaltung verfügen.
In Berlin hat es die Regierungskoalition geschafft, dass Eigentum schon den Hautgout des Unsozialen in sich trägt, quasi als Antipode zum häufig bemühten „Gemeinwohl“. Gemeinwohlorientiert ist alles, was nicht individuelles Eigentum ist – interessanterweise auch Genossenschaften, vor allem aber kommunales Eigentum.
Diese Rhetorik führt in einer Mieterstadt wie Berlin, 30 Jahre nach dem Fall der Mauer und dem Ende des SED-Regimes, dazu, dass sich in Umfragen Mehrheiten für die Enteignung von Wohnungsunternehmen finden. Da sowohl der Kreuzberger Flügel der Grünen als auch vor allem die Linke deutlich Auftrieb durch diese gesellschaftliche Spaltung spürt, wird dieser Überbietungswettbewerb an Investoren-Bashing nicht aufhören. Und da die Bundespolitiker sich häufig oder dauerhaft in Berlin aufhalten, ist die Gefahr einer weiteren Ansteckung groß.
Was könnte man stattdessen tun?
Die Wohnungsunternehmen des Landes Berlin, Degewo, Gesobau, Gewobag, Howoge, Stadt und Land und WBM, besaßen, ausweislich der veröffentlichten Abschlüsse, Ende 2018 zusammen 307.466 Wohnungen. Im Schnitt stehen diese mit 640 Euro pro Quadratmeter in den Büchern, die Miete beträgt 6,10 Euro pro Quadratmeter im Monat, sie sind mit 485 Euro pro Quadratmeter belastet und 64 Quadratmeter groß.
Nehmen wir einen Zinssatz von 1,5 Prozent und eine Tilgung Höhe von 2,5 Prozent an, könnte man den Mietern die Wohnungen für rund 1.830 Euro pro Quadratmeter anbieten, ohne dass die Annuität zu einer Mehrbelastung führen würde. (Zum Vergleich: Im Jahr 2018 betrug der durchschnittliche Quadratmeterpreis gebrauchter Wohnungen (1949 bis 1990) laut Gutachterausschuss zwischen 2.200 und 3.900 Euro, je nach Stadtteil und Qualität. Die Mieter hätten lediglich WEG-Verwaltergebühr und Instandhaltungsrücklage zusätzlich aufzubringen. Man könnte die Wohnungen natürlich auch unterhalb dieses Preises anbieten, um eine zusätzliche Entlastung sicherzustellen. Das Ganze könnte/sollte darüber hinaus mit Förderdarlehen und/oder Bürgschaften der IBB unterstützt werden.
Nimmt man eine Mieterkaufquote von 35 Prozent an, verbleibt, nach Rückführung der anteiligen Verschuldung und der auf den Buchgewinnen anfallenden Steuern (ich habe mit 30 Prozent gerechnet), bei den Wohnungsunternehmen Liquidität im Umfang von rund 6,7 Milliarden Euro.
Geht man davon aus, dass der Bau einer Wohnung 2.500 Euro pro Quadratmeter kostet, die gebauten Wohnungen im Schnitt 60 Quadratmeter groß sind, diese zu 50 Prozent mit Eigenkapital finanziert und auf eigenen Grundstücken gebaut werden, könnte man mit der frei werdenden Liquidität mehr als 90.000 neue Wohnungen bauen.
Zugegeben: Es fehlen einige Parameter, zum Beispiel Zeit, Personal, Baurecht, Grundstücksverfügbarkeit, und die Übersicht ist grob gestrickt, aber niemand hindert die Verantwortlichen daran, in die Detaillierung einzusteigen. Alles sicher besser, als für mehr als 3.000 Euro pro Quadratmeter bestehende und bereits bewohnte Wohnungen mit teilweise erheblichen Investitionsrückständen (Asbest, Nachtspeicherheizung) zu erwerben – was keinerlei Entlastung des Markts mit sich bringt.
Dieser Vorschlag würde dagegen die kaufenden Mieter langfristig stark entlasten und deren Vermögensbildung unterstützen. Zusätzlich würde allen anderen Mieter durch den Bau zusätzlicher Wohnungen geholfen werden.
Teilweise wird von den politisch Verantwortlichen bestritten, dass der verstärkte Neubau zur Entlastung des Mietmarkts führt, da der teure Neubau ja nur für eine Minderheit bezahlbar sei. Man muss gar nicht weit zurückgehen, um den Gegenbeweis anzutreten: In den 1990er-Jahren führte die Sonder-AfA in Berlin zu Milliardeninvestitionen und einer Verdreifachung der jährlichen Fertigstellungszahlen in nur fünf Jahren: 1992 waren 10.906 Wohnungen fertiggestellt worden – 1997 wurden daraus 32.965. Mehr als doppelt so viele Wohnungen wie heute (2017: 15.669 Wohnungen). Die Folge dieser hohen Fertigstellungszahlen, die deutlich über dem Haushaltswachstum lagen, waren niedrige Mieten und Leerstände. Man konnte damals aus einer Vielzahl von Mietwohnungen auswählen und monatliche Mieten von 5,00 Euro pro Quadratmeter, selbst in zentralen Lagen, waren normal.
Weder die Renditeerwartungen „gieriger Spekulanten“ noch ein steigender Anteil neuwertiger Wohnungen hat ganz offenkundig entscheidenden Einfluss auf den Mietmarkt. Entscheidend ist das Verhältnis der Haushalte und Einwohner zu den bestehenden Wohnungen.
Die Lösung liegt also eindeutig in der Schaffung zusätzlichen Wohnraums. Obwohl die Marktenge sich seit Jahren aufbaut, hat es die Politik nicht verstanden, Lösungen zu fördern. Tatsächlich gehen zum Beispiel die Baugenehmigungszahlen in Berlin seit dem Amtsantritt von R2G jedes Jahr zurück. Es fehlt der politische Wille, den Neubau zu forcieren. Und auf Bundesebene blockieren die fragilen Machtbalancen der GroKo und des föderalen Systems schnelle Lösungen, die jetzt dringend nötig wären.
Die oben angestellten überschlägigen Rechnungen zur Leistbarkeit von Wohneigentum und zur ökonomischen Rationalität einer Privatisierung in Berlin funktionieren in allen deutschen Metropolen – weil die Zinsen so niedrig sind. Gerade vor dem Hintergrund der Vermögenslücke und abnehmender Rentensicherheit in Deutschland müssten es sich Bundes- und Landesregierungen auf die Fahnen schreiben, Deutschland zu einer Nation von Eigentümern zu machen. Im Moment beobachten wir leider das Gegenteil.